Landkreis Coburg und Landkreis Oberallgäu: Chancen und Herausforderungen kommunaler Bildungssteuerung
Im Gespräch mit Bildungsverantwortlichen aus den Landkreisen Coburg und Oberallgäu.
Ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement in einer Kommune zu verankern, ist eine große Chance und zugleich eine große Herausforderung. Kommunen in Bayern, die sich seit einigen Jahren dieser Aufgabe gestellt haben, erzielen große Erfolge.
Wir haben darüber mit zwei kommunal Verantwortlichen gesprochen: mit Brigitte Keyser (Leitung des Fachbereichs "Bildung, Kultur und Sport") aus dem Landkreis Coburg und mit Ralph Eichbauer (Leitung der Abteilung "Mensch und Gesellschaft") aus dem Landkreis Oberallgäu.
Welche Bereiche und Aufgaben fallen in Ihre Zuständigkeit?
Brigitte Keyser: Seit der Gründung des Fachbereichs Bildung, Kultur und Sport vor zehn Jahren bin ich mit seiner Leitung beauftragt. Als gemeinsame Bildungsregion mit der Stadt Coburg zertifiziert, nehmen wir gemeinsam die Region und ihre spezifischen Bildungsthemen in den Blick und entwickeln sie weiter.
Ralph Eichbauer: Ich bin schon seit vielen Jahren als Leiter der Abteilung Mensch und Gesellschaft im Landkreis Oberallgäu tätig. Dies beinhaltet die Stabsstellen Migrations- und Gleichstellungsbeauftragte, die Fachstelle für Senioren und das Bildungsbüro. Des Weiteren sind die Sachgebiete Jobcenter, Jugendamt, Sozialamt sowie das Amt für Migration in meiner Abteilung angesiedelt.
Erzählen Sie uns ein wenig über Ihren Landkreis! Welche Besonderheiten und Herausforderungen sehen Sie im Bildungsbereich?
Ralph Eichbauer: Der Landkreis Oberallgäu ist ein sehr ländlich geprägter Flächenlandkreis mit insgesamt 28 Kommunen. Die Gegebenheiten in den kreisangehörigen Gemeinden sind sehr unterschiedlich, insbesondere zwischen Nord und Süd. Der nördliche Landkreis ist von der Nähe zur kreisfreien Stadt Kempten geprägt und gehört zum Einzugsgebiet der weiterführenden Schulen in Kempten. Der südliche Landkreis ist im Vergleich dazu ländlicher geprägt und wird in drei Himmelsrichtungen fast komplett von den Alpen eingeschlossen.
Vor diesem Hintergrund besteht die Herausforderung für uns zum einen darin, für die Bürgerinnen und Bürger wohnortnahe Angebote zur formalen und informellen Bildung vorzuhalten. Zum anderen müssen wir diese Angebote sowie die Akteure über den gesamten Flächenlandkreis koordinieren. Wir haben eine sehr engagierte und zugleich breite Trägerlandschaft, wodurch der regelmäßige Austausch stark im Vordergrund steht. Ziel ist es dabei, bedarfsspezifische Angebote zu bündeln und gegebenenfalls anzupassen sowie Doppelungen zu vermeiden.
All dies transparent darzustellen sehen wir als eine weitere Herausforderung, da die Angebote den Bürgerinnen und Bürgern auch bekannt sein müssen. Hinzu kommt, dass der Landkreis selbst lediglich Sachaufwandsträger der Berufsschule und des Förderzentrums ist, alle anderen Schulen liegen in den Händen der Kommunen.
Brigitte Keyser: Für viele nordbayerische Kommunen stellt die demografische Entwicklung mit ihren Folgen für Bildungsangebote eine der größten Herausforderungen dar. Uns geht es da nicht anders. Wir wollen vor allem Bildungsangebote erhalten und unsere vorhandenen Ressourcen so einsetzen, dass sie möglichst große Wirkung entfalten. Gerade im Hinblick auf den bestehenden Fachkräftemangel sind Erhalt und Weiterentwicklung von Berufsschul- und Weiterbildungsangeboten wesentlich.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im vergangenen Jahr haben wir uns stark für den Erhalt der Polsterer-Klassen eingesetzt, die in Coburg unterrichtet werden. Ihr Erhalt war uns wichtig, um die Polsterindustrie, die einen Schwerpunkt in unserer Region hat, zu stärken. Eine wichtige Bedeutung hat auch das Ausbildungszentrum der Handwerkskammer. Auch hier bemühen wir uns sehr, es in der Region zu halten. Unsere jungen Menschen sind noch nicht so mobil und achten bei der Wahl des Ausbildungsberufs natürlich darauf, wo das Berufsschulangebot stattfindet.
Wir wollen uns einen Überblick über die aktuelle Situation verschaffen und den Schülerinnen und Schülern alle Informationen für eine Entscheidungsfindung zur Wahl eines Ausbildungsplatzes in der Region zur Verfügung stellen.
Wie verstehe ich also in diesem Bereich unsere Aufgabe? Wir schauen gemeinsam mit Wirtschafts- und Berufsschulvertretern darauf, welchen Entwicklungen Industrie und Handwerk in der Region unterliegen und versuchen die Bildungsangebote gezielt darauf abzustimmen.
Ein weiteres Thema, das sich aus dem Bildungsbericht ergeben hat, ist der Spracherwerb von Kindern. Das ist eine Herausforderung, vor der ebenfalls viele Kommunen in ganz Bayern stehen.
Wie kam es in Ihren Kommunen zur Einrichtung eines Bildungsmonitorings?
Brigitte Keyser: Bildung ist für Stadt und Landkreis Coburg schon lange ein sehr wichtiges Thema. Seit vielen Jahren stimmen wir unser Vorgehen ab und wurden 2014 gemeinsame Bildungsregion. Von Beginn an ging es uns dabei nicht nur um schulische Bildung. Insbesondere kulturelle Bildung und die Übergänge frühkindlicher Bildung in Schule und Schule in die Ausbildung standen im Fokus, ebenso eine enge Zusammenarbeit mit unserer Volkshochschule.
Allerdings war es zunächst sehr schwierig, die konkreten Handlungsfelder fundiert zu erfassen. Die BMBF-Förderung über "Bildung integriert" zu beantragen war für uns somit ein logischer nächster Schritt, um auf der Grundlage fundierter Daten die Entwicklung der Bildungslandschaft voranbringen zu können. Also haben wir mit der Stadt Coburg eine gemeinsame Stelle für das Bildungsmonitoring eingerichtet. Die gemeinsame Datenerfassung und –darstellung ermöglicht nun mehr und mehr ein umfassendes Bild über die Entwicklung der Bildungsangebote in der Region. Man musste sich nicht mehr auf vereinzelte Informationen, Bauchgefühle und Schätzungen verlassen.
Ralph Eichbauer: Die Optimierung bildungspolitischer Entscheidungsfindung ist auch für uns überaus wichtig. Grundsätzlich soll sie auch zukünftig auf zwei Säulen aufgebaut sein. Neben dem operativen, strategischen Teil, dem Bildungsmanagement, sollte es einen empirischen, statistischen Teil geben. Dieses kommunale Bildungsmonitoring soll belastbare und entscheidungsrelevante Datengrundlagen in wesentlichen Bildungsfragen schaffen. Ziel ist die Entwicklung eines fortschreibbaren, kommunalen Bildungsmonitorings auf der Grundlage des bereits vorhandenen Berichtswesens und bestehender Planungen. Durch das Bildungsmonitoring erhofft sich der Landkreis eine Weiterentwicklung in der bestehenden Struktur der kommunalen Datenerhebung.
Jeder Kommune, jeder Fachabteilung und jedem externen Bildungspartner oblag es bisher, eigenständig die für sie relevanten Daten dezentral (und mit erheblichem Arbeitsaufwand) zu erheben, zu pflegen und aufzubereiten. Der Aufbau eines kommunalen Bildungsmonitorings, das sich am dazu passenden Anwendungsleitfaden mit Indikatorenkatalog orientiert, soll künftig immer mehr dazu beitragen, alle bildungsrelevanten Daten für eine wesentliche organisatorische, ökonomische und qualitative Verbesserung zentral zu erfassen und routiniert zu betreuen. Bisher verblieben die (Einzel-)Daten an den jeweiligen Stellen, sie flossen nicht in ein übergreifendes Gesamtbild ein. Somit konnten keine Zusammenhänge erkannt und keine möglichen Korrelationen aufgedeckt werden.
Eine integrierte Bildungsplanung ist daher unser großes Ziel. Dabei soll es eine Strukturierung für die Vorgehensweise beim Sammeln, Auswerten und Einpflegen der Daten geben. Sollten noch keine Daten zur Verfügung stehen, werden eigenständige Erhebungen mit spezifischen Fragestellungen durchgeführt. Die auf diese Weise zusammengestellten und aufbereiteten Daten und thematischen Analysen werden über eine Bildungsberichterstattung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein weiteres Ziel war und ist es, anhand der aufbereiteten Daten gezielte Maßnahmen auszuwählen und effizient Finanzmittel einzusetzen. Darüber hinaus lassen sich mithilfe des Bildungsmonitorings neu entwickelte Maßnahmen auf ihre beabsichtigte Wirkung hin empirisch überprüfen.
Die Einführung eines kommunalen Bildungsmanagements ist eine große Herausforderung. Es ist eine neue Art des Arbeitens für Verwaltungen. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, um eine Akzeptanz bei den Akteuren innerhalb der Verwaltung zu erreichen?
Brigitte Keyser: Man darf die grundsätzlichen Aufgaben der Verwaltung nie aus den Augen verlieren. Verwaltung vollzieht Gesetze. Das heißt, es gibt einen festen Rahmen, im dem man sich bewegt und klar voneinander abgegrenzte Zuständigkeiten. Das vernetzte und ressortübergreifende Arbeiten gewinnt aber mehr und mehr an Bedeutung. Vor zehn Jahren begann man im Landkreis Coburg gezielt mit der Steuerung und Entwicklung der Bildungsregion. Ab da hat man Entwicklungen im Bildungsbereich gemeinsam beobachtet und analysiert, um schließlich zielgerichtet Einfluss nehmen zu können.
Verankert ist bei uns auch schon lange eine enge Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. Es gibt gemeinsame Aufträge. Bildung, Erziehung und Betreuung wird entsprechend der Lebenswirklichkeit der Kinder und Eltern im Landkreis als Trias gedacht und auch so umgesetzt.
Hilfreich für uns ganz speziell war zudem, dass das Bildungsbüro und die Trägerschaft der Schulen in einem Fachbereich angesiedelt sind. Dadurch ergab sich ein natürlicher Zugang zu unseren Schulen, der uns zum Beispiel im Hinblick auf die Digitalisierung sehr geholfen hat.
Letztendlich geht es bei der Arbeit im kommunalen Bildungsmanagement immer um ein Miteinander und um gegenseitige Wertschätzung. Versteht man die Interessen der anderen, können sie beispielsweise bei den Fragestellungen, die der Bildungsberichterstattung zu Grunde liegen, berücksichtigt werden. Zusammenarbeit ist keine Einbahnstraße – jeder, der sich beteiligt, sollte auch einen Mehrwert daraus ziehen. Die Umsetzung dieser Haltung hat bei der Akzeptanz unserer Arbeit sehr geholfen.
Ralph Eichbauer: Dem kann ich mich nur anschließen. Es ist wichtig, ein gemeinsames Gesamtziel zu erarbeiten, an dem sich die verschiedenen Fachbereiche orientieren. Darüber hinaus ist aus meiner Sicht die Entwicklung einer sozialpolitischen Agenda – aktuell bis 2030 – mit einer breiten Datengrundlage zur Beschreibung der Ausgangslage in allen Bereichen entscheidend. Die geplanten Erhebungen sowie die umfassende Datenaufbereitung müssen eng miteinander abgestimmt werden. Insgesamt sollen Daten als Ausgangs- und Endpunkt betrachtet werden.
Anhand von Daten können gemeinsame Vorteile dargestellt und herausgehoben werden. Dabei generiert jeder Fachbereich wiederum Nutzen für andere Bereiche und verstärkt dadurch den gegenseitigen Mehrwert.
Die Arbeit des Bildungsmonitorings trägt insbesondere dann Früchte, wenn mit neu aufbereiteten Daten auch tatsächlich gearbeitet wird. Gibt es besondere Anforderungen an die Ausgestaltung der Bildungsberichterstattung bzw. des Bildungsmonitorings?
Ralph Eichbauer: Wir verfolgen die Strategie, das Bildungsmonitoring an einem gemeinsam festgelegten Gesamtziel auszurichten. Ausgehend von Rahmenbedingungen werden Schwerpunktbereiche herausgegriffen sowie zielgruppenspezifische Indikatoren festgelegt und deren Relevanz diskutiert.
Die wichtigste Erfahrung ist: Eine enge Verzahnung mit dem Bildungsmanagement sowie ein regelmäßiger Austausch mit anderen Fachbereichen ist schlicht essenziell. Dabei wird Datenaustausch etabliert und Vorgehensweisen zur Abwicklung von Vorgängen bzw. Abläufen festgelegt.
Brigitte Keyser: Bei unserer Bildungsberichterstattung war uns eine zielgruppenorientierte Kommunikation sehr wichtig. Nicht jeder sollte alle Informationen erhalten, sondern nur die für die jeweilige Zielgruppe relevanten Daten. Unser Ziel war es, die Daten so aufzuarbeiten, dass tatsächlich mit ihnen gearbeitet und auf ihrer Grundlage Entscheidungen getroffen werden können. Daher haben wir auf einen großen, umfassenden Bildungsbericht verzichtet. Stattdessen haben wir kompakte Teilberichte erstellt, die auf die jeweiligen Zielgruppen mit ihren spezifischen Fragestellungen zugeschnitten sind.
Im ersten Schritt haben wir erfasst, welche Fragen in den einzelnen Fach- und Bildungsbereichen gestellt werden. Danach wurde geprüft, welche Daten miteinander in Bezug gesetzt werden müssen, um tatsächliche Aussagen auf diese Fragestellungen liefern zu können. Um dem Leser die Orientierung und den Zugang zu den Daten zu erleichtern, haben wir auf lange Beschreibungen und Tabellen verzichtet. Stattdessen wurde jedes Handlungsfeld knapp auf einer Doppelseite aufbereitet, immer mit derselben Gliederung. Auch wenn wir Handlungsfelder benannt haben - konkrete Handlungsempfehlungen haben wir nicht gegeben. Sie müssen gemeinsam diskutiert werden. Zusätzliche Informationen und Daten zu den Handlungsfeldern haben wir im Hintergrund, um bei Bedarf ausführlichere Analysen vorzunehmen.
Wichtig ist es auch, aktuelle Themen möglichst zeitnah aufzugreifen und mit relevanten Daten zu hinterlegen.
Herr Eichbauer, Sie arbeiten in der Bildungsplanung eng mit angrenzenden Kommunen zusammen. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Ralph Eichbauer: Es finden regelmäßige Austauschtreffen zu bestimmten Themen zwischen der Stadt Kempten und dem Landkreis statt. Wir legen dabei viel Wert auf ein kollegiales Miteinander und gegenseitige Unterstützung. Die Zusammenarbeit im ganzheitlichen Bildungssektor läuft sehr gut, offen und unkompliziert.
Auch zu den anderen angrenzenden Kreisen, insbesondere mit dem Landkreis Ostallgäu oder der Stadt Kaufbeuren pflegen wir einen guten Austausch. Die Gebietskörperschaften stellen sich häufig den gleichen Herausforderungen. Hier kann man immer wieder vom Wissen der anderen profitieren, Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig unterstützen. Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden.
Frau Keyser, bei der kommunalen Zusammenarbeit ist der Landkreis Coburg einen Schritt weitergegangen. Dort geht man in der Bildungsplanung und im Bildungsmonitoring einen interkommunalen Weg mit der Stadt Coburg. Welche Vorteile haben sich daraus ergeben?
Brigitte Keyser: Die Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis nutzen auch Bildungsangebote in der Stadt. Neben schulischen Angeboten sind das auch kulturelle und Weiterbildungsangebote. Da Bürgerinnen und Bürger nicht in kommunalen Grenzen denken, sollte es die Verwaltung auch nicht tun. Insbesondere im Monitoring macht eine Zusammenarbeit Sinn, denn die Daten wären verfälscht, wenn man sie nur für den Landkreis betrachten würde.
Als Beispiel fällt mir da die Kitabedarfsplanung ein: Würden wir nur schauen, wie viel Prozent der Landkreiskinder unsere Kindertagesstätten besuchen und dabei die Kindertagesstätten der Stadt Coburg außer Acht lassen, wären unsere Daten unsauber. Gleiches gilt aber auch für den Bereich der Weiterbildung, der Erwachsenenbildung und ebenso für die berufliche Aus- oder der betrieblichen Weiterbildung. Da macht es noch viel mehr Sinn, die Ressourcen der gesamten Region zu bündeln und sich nach dem tatsächlichen Bedarf zu richten. Dabei muss es natürlich gelingen, die unterschiedlichen Strukturen von Stadt und Landkreis widerzuspiegeln, zum Beispiel in den Handlungsansätzen im Bildungsbericht.
Wir verstehen uns dabei als Verantwortungsgemeinschaft für die Region, handeln danach und nehmen die Bildungsbedarfe der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam in den Fokus. Kirchturmdenken hilft uns hier nicht weiter.
Herr Eichbauer, was sind aus Ihrer Sicht Gelingensbedingungen für ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement in Ihrer Kommune?
Ralph Eichbauer: Aus meiner Sicht sind das vor allem der Blick über den Tellerrand hinaus und das Aufbrechen eines starren Denkmusters in Zuständigkeiten. Erfolg versprechend ist die Gründung von Verantwortungsgemeinschaften sowie das Arbeiten Hand in Hand und ein Agieren auf Augenhöhe.
Des Weiteren sind gute Netzwerkarbeit sowie transparentes Handeln unerlässlich für nachhaltige, nachvollziehbare und von den Partnerinnen und Partnern mitgetragene Entscheidungen. Die feste Implementierung des Monitorings trägt dazu wesentlich bei. Datenbasiertes Handeln wird so als Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Auf Grundlage eines Handlungsleitfadens werden die Strategie sowie der Maßnahmenkatalog des Managements aufgebaut. Notwendig sind aus meiner Sicht ebenfalls der Wille zu einer umfassenden Berichterstattung und ein konstruktiver Umgang mit unvorhersehbaren Ergebnissen.
Damit dies erfolgreich in der Praxis umgesetzt werden kann, müssen relevante Daten unter Einbezug des Sozialdatenschutzes zugänglich sowie Darstellungstools und entsprechende Programme bereitgestellt werden. So lassen sich schließlich auch Erfolge erzielen.
Frau Keyser, welche Vorzüge hat die datenbasierte Steuerung in der Bildungsregion Coburg bereits gezeigt?
Brigitte Keyser: Der Mehrwert der datenbasierten Steuerung wird für uns immer dann deutlich, wenn mithilfe von Daten fundierte Entscheidungen getroffen werden. Daten versachlichen Diskussionen und korrigieren persönliches Empfinden. Zum Beispiel benannte unser Bildungsbeirat, aufgrund der Ergebnisse des Bildungsberichts, das Thema "Spracherwerb von Kindern" als wichtiges Handlungsfeld. Das wird nun erstmals in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe bearbeitet, die aus den bildungsaffinen Kreistagsmitgliedern des Bildungsbeirats, dem Bildungsmanagement und dem Bildungsmonitoring besteht. In Workshop-Atmosphäre werden dort gemeinsam wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten analysiert sowie Handlungsansätze diskutiert. Die Ergebnisse werden dann als Handlungsansätze an den Kreistag weitergegeben.
Ich gebe ihnen gerne einen kleinen Einblick in unser Vorgehen: Wir haben uns zum Beispiel angeschaut, wie viele Kinder zwischen zwei und drei Jahren überhaupt Kindertagestätten besuchen. Dabei haben wir insbesondere herausfinden wollen, ob es regionale Unterschiede gibt. Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass wir mit nur einen Handlungsansatz alle Menschen erreichen können.
Einer der möglichen Handlungsansätze könnte sein, unsere Sprachkindertagestätten weiter auszubauen. Hierzu befragen wir zum Beispiel unserer Schulen um herauszufinden, ob die Kinder, die eine Sprachkindertagestätte besucht haben, sprachlich weiterentwickelt sind als andere Kinder.
Welcher Mehrwert zeigt sich im Landkreis Oberallgäu?
Ralph Eichbauer: Ein großer Mehrwert ist die Evaluation von Projekten mit einer anschließenden Anpassung bzw. Optimierung. Darüber hinaus werden viele Maßnahmen mittlerweile auf Basis von Daten entwickelt. Die Veränderung, die eine datenbasierte Steuerung auf den Weg bringt, kommt nach und nach im Denken an.
Haben Sie ein Beispiel für eine aktuelle Maßnahme, an der Sie uns die Vorteile eines datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements verdeutlichen können? Wo zeigt die Steuerung mithilfe von Daten erste Erfolge?
Brigitte Keyser: Ein großer Erfolg ist die Gründung unseres regionalen Netzwerkes rund um die Jugendberufsagenturen. Zu der Gründung kam es in Bearbeitung des Schwerpunktthemas 2019 "Jugendliche ohne Ausbildung – Keiner soll verloren gehen", das wir aufgrund erster Datenanalysen als ein drängendes Thema identifizieren konnten. Anders als die bundesweit agierenden Jugendberufsagenturen besteht unser Netz nicht nur aus Jobcenter und Jugendamt des Landkreises und Agentur für Arbeit – die Jugendberufsagentur der Stadt Coburg gehört ebenso dazu wie Berufsschulen, das Staatliche Schulamt, HWK, IHK und verschiedenen Bildungsträger. Wir sind so in einem ganz anderen Austausch und erfahren viel mehr darüber, wie die Situation vor Ort tatsächlich ist, um bei Bedarf Handlungsansätze und Unterstützungsmaßnahmen abzustimmen.
Ein weiterer Erfolg war der Erhalt eines Mittelschulverbundes. Um zu sehen, wie sich dieser Mittelschulverbund entwickelt und wie sich eine Teilung auswirken würde, wurden Schülerzahlen sowie Wegstecken analysiert und mit Geburtsraten ins Verhältnis gesetzt, um einen längeren Planungszeitraum zu ermöglichen. Nicht nur Stadt und Landkreis, sondern auch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden haben sich als Teil der Verantwortungsgemeinschaft begriffen und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in den Blick genommen. Einzelinteressen wurden hintenangestellt und die Daten in den Fokus der Überlegungen gerückt. So konnte der Verbund letztendlich aufrechterhalten werden.
Ralph Eichbauer: Ein gutes Beispiel ist die Optimierung der Bildungsberatung für den Landkreis. Diese wurde in der Konzeption angepasst und vorhandene Evaluationsmethoden weiterentwickelt. Ziel des neuen Konzepts ist vor allem, die Bildungsberatung dort anzubieten, wo die Menschen wohnen. Neben einem festen Standort in Sonthofen ist die Bildungsberatung nun auch mit Außensprechtagen in zehn Landkreisgemeinden flächendeckend aktiv. Diese Maßnahme wird natürlich kontinuierlich weiter evaluiert, da sich die Gegebenheiten vor Ort ändern können. Das Konzept muss immer an die aktuelle Lage angepasst werden*.
Eine große Umfrage führte das Bildungsmonitoring zum Thema „Stand der Digitalisierung in verschiedenen Einrichtungen“ durch. Die Umfrage verschaffte uns einen guten Überblick über die Situation im Oberallgäu. Sie hat uns außerdem gezeigt, dass eine große Diversität bezüglich der Ausstattung und der Haltung in den unterschiedlichen Einrichtungen zu diesem Thema besteht. Hier kann nun das Management gezielt anknüpfen.
Im Bereich Integration sowie Inklusion konnten Faktenchecks veröffentlicht werden. Mithilfe des Datenmaterials konnte Transparenz geschaffen und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen, welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für die "datenbasierte Steuerung" in Ihrem Landkreis? Wie wird sich der Bereich in den nächsten Jahren entwickeln? Wo wollen Sie in den nächsten Jahren ansetzen?
Ralph Eichbauer: Weiterentwicklungsmöglichkeiten sehe ich im Ausbau der Strukturen sowie in der Etablierung des Monitorings als feste Aufgabe im Landratsamt. Und zwar nicht nur für "Bildung" im Sinne von schulischer Bildung, sondern umfassend für den gesamten Lebensverlauf. Dies beinhaltet sowohl die persönlichen Lebensläufe als auch die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und Entwicklungen. Exemplarisch spiegelt es sich derzeit in der Erarbeitung der sozialpolitischen Agenda 2030 sowie in der Einführung des Hildesheimer Modells zur Vorausrechnung der Bevölkerungsentwicklung wider. Hier steht die Zusammenarbeit mit u.a. der Jugendhilfeplanung, dem Schulamt, dem Seniorenamt sowie den Kommunen im Vordergrund.
Derzeit starten wir ein MINT-Projekt als Pilotversuch, welches im Nachgang genau evaluiert wird, bevor es den Realschulen im Landkreis angeboten werden kann. Hier erhoffe ich mir mit Hilfe der Rückmeldung aller Beteiligten Rückschlüsse, was in der praktischen Durchführung noch optimiert werden kann bzw. muss. Nur so können wir es schaffen, passgenaue Angebote für die bestimmten Zielgruppen anzubieten.
Langfristig sollte das Monitoring Ziel und Ausgangspunkt von bildungspolitischen Entscheidungen auf Kreisebene und kommunaler Ebene sein. Alle bildungsrelevanten Themen sollen zukünftig in Zahlen auf einen Blick dargestellt, Entwicklungen verfolgt, Prognosen erstellt und kontinuierlich angepasst sowie Verbesserungspotenzial ausgeschöpft werden. Darüber hinaus sollen die bedarfsgerechten Bildungsangebote auf Grundlage einer Zahlenbasis angepasst sein.
Außerdem sollen Bildungsgerechtigkeit sowie die erzielten Verbesserungen abgebildet werden – nach dem Motto: Bildungschancen sichtbar machen, nutzbar machen und ergreifen!
Brigitte Keyser: Immer wenn neue Herausforderungen auf uns zukommen, werden mir die Vorteile unserer guten Zusammenarbeit mit den anderen Fachbereichen bewusst. Eine zukünftige Herausforderung wird auf jeden Fall die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule sein, der 2025 in Kraft treten wird, insbesondere was die Verfügbarkeit von Fachkräften in der Region und den Bedarf an neuen Betreuungsangeboten anbelangt. Das lässt sich nur gemeinsam lösen.
Wir arbeiten bereits gemeinsam an einem strategischen Vorgehen: Wir wollen prüfen, welcher Bedarf tatsächlich entsteht, also wie viele zusätzliche Plätze und Gruppen in den kreisangehörigen Kommunen zur Verfügung gestellten werden müssen. Wir werden uns auch die Altersstruktur in den Einrichtungen anschauen, um den Personalbedarf planbar zu machen. Entsprechend des Bedarfs werden wir zudem überlegen, wie wir die Ausbildungszahlen für das pädagogische Personal erhöhen können ohne dabei an Qualität einzubüßen. Wir haben vor Ort eine Erzieherschule und eine Schule für Kinderpflege. Zusätzlich wollen wir schauen, ob spezielle Qualifizierungen in die Ausbildung aufgenommen werden können, um den Bedarfen der Region zu begegnen. Hier geht es uns zum Beispiel um die Förderung des Spracherwerbs von Kindern.
Aus unseren Daten wissen wir außerdem, dass die aktive Entwicklung der Berufsschullandschaft eine weitere wichtige Aufgabe ist. Man muss beobachten, wie sich die Berufsbilder weiterentwickeln und was das für unsere Berufsschulstandorte bedeutet.
Ein weiteres Stichwort kann ich noch nennen – Digitalisierung. Ein Thema, das noch lange nicht abgeschlossen sein wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen:
In der Publikation "Gewusst wie! Datenbasierte Bildungssteuerung in bayerischen Kommunen" erfahren Sie mehr über die Potenziale einer kommunalen Bildungssteuerung. Neben zwölf Praxisbeispielen, die einen Einblick geben, wie die Bildungssteuerung vor Ort praktisch erfolgt, finden Sie dort auch eine Kurzversion des Interviews.
Das Interview führte: Regionalbüro Nord und Süd der Transferagentur Bayern.
Fotos: Landkreis Coburg, Landkreis Oberallgäu.